Samstag, 23. April 2011

Freitag, 13.

„Mist!“, dachte ich, als ich mich auf die U-Bahn stürzte. Sie sollte erst in zwei Minuten ankommen und der Bus hatte auch wieder Verspätung. Nichts funktioniert heute. Aus dem Joggen wurde Rennen und schließlich Sprinten. Der Fußboden der Haltestation war viel zu glatt und meine schwarzen Chucks drohten auszurutschen. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir Wanderschuhe anzuhaben. Das Piepen der Türen  erklang und sie fingen an sich langsam zu schließen. Fast in Zeitlupe. Als ob sie sich darüber lustig machten, dass ich es nicht einmal schaffen könnte, wenn sie eine Minute brauchten. Ich legte Tempo zu. Meine Füße spürte ich nicht mehr. Sie klappten schließlich zu und bevor ich gegen die Tür klatschte, rutschte ich weiter nach links, um es bei der nächsten, noch offenen Tür zu versuchen. Es war nur noch ein kleiner Schlitz zu sehen. Sie ging schließlich wieder auf, ohne dass ich etwas gemacht habe. Ich wischte mir mit meinem Ärmel den Schweiß von der Stirn und stieg ein. Ich war noch am Keuschen, als ich eine ältere Frau entdeckte, die mich angrinste. „D… Dankeschön…“, stotterte ich und lief weiter. Ich sah mich nach einem freien Sitzplatz um. Alles besetzt. Wie immer. Zumindest wie immer, wenn man zu spät dazu steigt. Also lehnte ich mich einfach gegen die Wand. Das Vibrieren des Metalls fühlte sich an der Wirbelsäule unangenehm an, genauso wie der nervige Klang der ratternden Räder auf den Schienen der U-Bahn. Es war dunkel und ab und zu sah man Graffitis vorbeiflitzen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mal mit meinem Kumpel Aaron nachts in einen Tunnel geschlichen bin und wie wir die Wand mit grellem Marinblau angesprüht haben. Das Gefühl etwas Böses zu tun war erschreckend schön und wir fühlten uns unglaublich mächtig. Als die U-Bahn an die Oberfläche kam, blendete das Tageslicht meine Augen. Langsam fuhr die Bahn im nächsten Bahnhof ein. Schließlich kam sie zum Stehen. In meiner Nähe stieg eine Frau aus und ihr Sitzplatz wurde frei. „Geht doch!“, dachte ich und machte mich auf den Weg. „Entschuldigung.“, hörte ich einen dicken Mann mit Halbglatze vor mir sagen, der sich im nächsten Moment an mir vorbei zwang. Als ich zu dem Platz sehen wollte, war er wieder besetzt. Von einem Mädchen in meinem Alter. Vielleicht sogar ein wenig älter. Sie saß nur so steif da und blickte stur nach vorne. Ich sah sie nur von der Seite, aber dies genügte, um festzustellen, wie hübsch sie war. Weiche Gesichtszüge. Sie war fein geschminkt, sah unglaublich frisch und jung aus. Sie hatte dunkle, glatte Haare, ihre Haut dagegen war blass, wie frisch gefallener Schnee an einem kühlen Wintertag. Sie hatte ein grades Näschen und hellgraue Augen, über denen sich eine dünne Augenbraue wölbte. Sie sah kurz in einen Spiegel, tastete etwas an ihrer linken Gesichtshälfte ab, richtete sich ihre Haare. Sie steckte den Spiegel zurück in ihre Hosentasche, sah kurz verlegen nach unten, bevor sie sich wieder mit übergeradem Rücken hinsetzte und weiterhin nach vorne starrte. Dieselbe Stimme, wie die, die sagt „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ verkündete meine Haltestelle. „Toll!“, dachte ich angepisst, „jetzt hat der Tag wenigstens eine gute Sache gebracht…“. Ich ging an dem Mädchen vorbei zum Ausstieg und blieb stehen. Ich drehte mich ein letztes Mal um, um mich mit dem Blick von der unbekannten Schönheit zu verabschieden. „Lächle sie an, bevor du gehst“, sagte ich mir dabei. Doch dazu kam es nie. Entsetzt sah ich sofort weg. Ihre linke Wange war vernarbt und gleichte geschmolzenem Käse. Das Auge bedeckt von einem weißen, quadratischen Pflaster. Blaue Adern zogen sich über die ganze Gesichtshälfte und verabreichten ihm einen grünlichen Farbton. Das Kinn eine einzige, rosafarbene Geschwulst…

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